Arthur Scheunert 2012

 

Diskussion um Umbenennung der „Arthur-Scheunert-Allee“

Aus Anlass einer historischen Studie von Roland Thimme zum Wirken des Ernährungs- und Vitaminforschers Arthur Scheunert im Heft 1/2012 der Zeitschrift für Geschichtswissenschaft „Carl Arthur Scheunert – Ein Naturwissenschaftler im nationalsozialistischen und im real-sozialistischen Herrschaftssystem“ wird in Nuthtetal nun über eine Umbennenung der nach dem in der DDR mit dem Nationalpreis und dem Ehrentitel „hervorragender Wissenschaftler des Volkes“ dekorierten Forscher Scheunert benannten Hauptstraße Rehbrückes diskutiert.

Die SPD-Fraktion in der Gemeindevertretung riet von Schnellschüssen ab und regte eine aufrichtige Auseinandersetzung mit der gesamten Person Scheunerts an.

Die „Lobrede“ …

Im Juni 2004 erinnerte Kurt Baller in der „Märkischen Allgemeinen Zeitung“ unter der Titel „Leben ist Ernährung“ aus Anlass des 125. Geburtstages von Arthur Scheunert an die am 01. Mai 1957 erfolgte Umbenennung der früheren „Straße der Freiheit“ in „Arthur-Scheunert-Allee“:

Baller erinnert in anerkennender Art und Weise an das wissenschaftliche Leben des Jubilars, an das Studium der Chemie in Leipzig und Göttingen, die Promotion im Jahre 1902, die ersten Dozenten-/Profesorenjahre an der Tierärztlichen Hochschule in Dresden und später als Ordinarius an der Landwirtschaftlichen Hochschule in Berlin und natürlich daran, dass sich Scheunert dann mit der Vitaminforschung „sein Leben lang beschäftigt“ und „Höchstes erreicht“ habe.

„Von 1923 bis 1945 sah ihn die wissenschaftliche Welt an der Leipziger Universität forschen und lehren“, „1945 verschlug es Scheunert nach Gießen“, führt Baller aus. Nachdem der Oberste Chef der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD) befohlen habe, ein wissenschaftliches Forschungsinstitut für Ernährung aufzubauen, habe Arthur Scheunert die Chance gesehen, „seine wissenschaftlichen Forschungen, an denen man in Gießen offensichtlich kein Interesse hatte“ fortzusetzen und am 1. April 1948 das neue Institut in Bergholz Rehbrücke übernommen, maßgeblich zum Aufbau des damaligen Instituts für Vitaminforschung beigetragen und dort „Zeit seines Wirkens in Bergholz-Rehbrücke uneingeschränkte Hochachtung und volles Vertrauen seiner Mitarbeiter“ genossen.

Auf der Grundlage von Berichten der „Märkische Volksstimme“ zeichnet Baller auch die Rolle Scheunerts – Träger des Nationalpreises I. Klasse – in der damaligen Berichterstattung nach. Er scheint dabei belegen zu wollen, dass Scheunert – weil er Pazifist und Friedenskämpfer gewesen und geblieben sei und schließlich 74-jährig seine politischen Ämter niedergelegt habe- von der DDR-Obrigkeit zu den „politisch Geächteten“ gezählt wurde: Man habe über die Straßenumbenennung nicht berichtet, der Nachruf auf seinen Tod am 11. Januar 1957 sei erst Tage später veröffentlich worden und habe sich ausschließlich auf die wissenschaftlichen Leistungen beschränkt.

„Für einen Pazifisten vom Schlage Arthur Scheunerts“ habe es in der Zeit der Aufrüstung beider deutscher Staaten und der Umwandlung der Kasernierten Volkspolizei in die Nationale Volksarmee kein Platz mehr in den Medien der Partei gegeben“. Nur noch einmal habe man doch noch politisch auf Arthur Scheunert zurück gegriffen: Im Zusammenhang mit der Volksbefragung vom 27. bis zum 29. Juni 1954 zum Abschluß eines Friedensvertrages mit Deutschland und gegen die (westeuropäische) Europäische Verteidigungsgemeinschaft (EVG) über die „Märkische Volksstimme“. Dort erklärte Scheunert, dass von den 52 Jahren, die er bisher wissenschaftlich tätig hätte sein können, ein Drittel wegen des Ersten und Zweiten Weltkrieges und deren Nachwirkungen nicht hatte nutzen können.

Zu dem von Baller ausgesparten Wirken Scheunerts in der NS-Zeit finden sich schon seit Jahren Hinweise bei Wikipedia.

… und die historische Forschung

In Heft 1/2012 der „Zeitschrift für Geschichtswissenschaft“ erschien die Analyse von Roland Thimme „Carl Arthur Scheunert – Ein Naturwissenschaftler im nationalsozialistischen und im real-sozialistischen Herrschaftssystem“. Danach habe das damalige NSDAP-Mitglied Scheunert als einer der führenden Ernährungsforscher des Dritten Reichs auch Gefangene des Zuchthauses Waldheim (Sachsen) für Mangelernährungsversuche missbraucht.

Die Studie können sie hier herunterladen  Aufsatz (Wir danken Verlag und Autor für die freundliche Genehmigung der Veröffentlichung!)


Nach Erscheinen des Beitrags von Baller in der „MAZ“ widerspricht auch der ehemals am Institut tätige Prof. Dr. Claus Franzke, Berlin, im Rahmen eines Leserbriefs vom 16.07.2004 einigen Aussagen:

„Ich bin Schüler von Prof. Dr. W. Ziegelmayer (1898-1951), habe 1948 bis 1950 im damaligen Institut für Ernährung und Verpflegungswissenschaften in Rehbrücke als wissenschaftlicher Assistent gearbeitet und dort auch Prof. Dr. Scheunert persönlich kennen gelernt. … Für mich war daher der Artikel des Herrn Baller sehr interessant, und es bietet ja auch einen gewissen Reiz, wenn von einem Außenstehenden ein unverstellter Blick auf die Biografie eines bekannten Wissenschaftlers geworfen wird. Leider ist in diesem Falle aber offensichtlich unterlassen worden, vor der Veröffentlichung eine gehörige Recherche zur Person Scheunert durchzuführen. Es wird hier eine in vielen Teilen inhaltlich fehlerhafte, seiner Persönlichkeit nicht gerecht werdende und den Leser irreführende Publikation vorgestellt. Folgende Richtigstellungen sind m.E. notwendig.
1. Das Rehbrücker Institut ist 1946 mit dem Befehl 168 der Sowjetischen Militäradministration von Prof. Dr. Wilhelm Ziegelmayer und nicht von Professor Arthur Scheunert gegründet worden.
2. Erster Direktor des o.g. Institutes war von 1947 bis 1950 Ziegelmayer. Scheunert kam erst 1948 an das Institut – nachdem eine Anstellung an der Universität Gießen aus Altersgründen nicht mehr möglich war (er war immerhin 66 Jahre alt) und war zunächst Stellvertreter von Ziegelmayer. Er wurde 1950, nachdem Ziegelmayer persona non grata in der DDR und auf nicht sehr anständige Weise „entfernt“ wurde, zum 1. Direktor ernannt.
3. Professor Scheunert war bis zu seinem Tod und darüber hinaus in der DDR eine sehr angesehene Person. Er zählte absolut nicht zu den politisch Geächteten. Eine Straßenumbenennung von „Straße der Freiheit“ in „Arthur-Scheunert-Allee“ war seinerzeit ohne Zustimmung höchster Stellen der DDR unmöglich und sie wäre unter den o.g. Aspekten auch kaum zu erlangen gewesen.
… Man kann sich zur Sache bestens im Archiv des Deutschen Instituts für Ernährungsforschung Potsdam-Rehbrücke kundig machen. Unter dem Stichwort „Nachlass Scheunert“ liegt dort ein umfangreiches und gut aufbereitetes Material vor. Weiterhin kann man sich auch im Internet unter www.dife.de zu Carl Arthur Scheunert informieren.“